1.August-Rede
Meine 1. Augsut-Rede anlässlich der Bundesfeier in Henau
Guätä Tag mitenand!
Ich erinnere mich, wie wir als Kinder den 1. August feierten: Tagsüber warten, bis es Abend wurde. Anschliessend ging es samt Grosseltern in die Nachbarsgemeinde zum Grossonkel, Bratwurst & Cervelat im Cheminée «brötlä» und sobald es dunkel wurde, stolz mit einem Lampion in der Hand warten, bis ein Erwachsener den Vulkan anzündete. Natürlich durfte dann auch das obligate Familienfoto mit meinen Schwestern nicht fehlen. Während dem Dessert konnten wir nicht nur das Feuerwerk bestaunen, sondern ab und zu auch unsere lichterloh brennenden Lampions, welche aus für uns unerklärlichen Gründen Feuer gefangen hatten. Zwar haben meine jüngeren Schwestern und ich relativ früh verstanden, dass wir den Geburtstag unserer Heimat feiern, nicht aber, was das wirklich bedeutet.
An einem Geburtstag soll man sich in erster Linie einmal freuen. Dann aber bietet ein Geburtstag immer auch die Gelegenheit, um zurückzublicken. Zurückblicken, auf die Geschichte der Schweiz. Zurückblicken, auf all das, was Generationen vor uns geleistet und uns dadurch ermöglicht haben. Zurückblicken auf den Weg, den wir Menschen in diesem einzigartigen Land bisher gegangen sind. Es freut mich, am diesjährigen 1. August 2024, anlässlich des Geburtstags unserer schönen Schweiz meine Gedanken mit Ihnen teilen zu dürfen.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass niemand von uns dabei war. Trotzdem versuchen wir uns an den Rütlischwur von 1291 zu erinnern, der als Gründungsakt der Eidgenossenschaft gilt. Dieser Schwur zwischen den Urkantonen Uri, Schwyz und Unterwalden war nicht nur ein Versprechen von Bündnissen, um sich gegenseitig gegen äussere Bedrohungen zu unterstützen und ihre Unabhängigkeit zu bewahren, sondern auch ein Versprechen an Werte: Freiheit, Gleichheit und Gemeinschaft. Dieser Akt des Gemeinsinns und der Solidarität legte somit den Grundstein für die heutige Schweiz. Ein Beispiel dafür ist unsere Bundesverfassung von 1848, die den modernen Bundesstaat begründete und die Grundlage für unsere heutige Demokratie legte. Diese Verfassung wurde in einer Zeit grosser politischer Umwälzungen geschaffen, als die Schweiz von Konflikten und Unruhen geprägt war. Unsere nationale Einheit beruht also weniger auf ethnischen oder kulturellen Gemeinsamkeiten, sondern auf dem gemeinsamen Willen der verschiedenen Gemeinschaften, in einem föderalen, demokratischen und neutralen Staat zusammenzuleben. Wir sind also eine Willensnation, die trotz innerer Unterschiede und Herausforderungen immer den gemeinsamen politischen Willen zur Einheit und Zusammenarbeit bewahren kann.
Unsere Werte – Freiheit, Demokratie, Unabhängigkeit, Frieden und Föderalismus – sind zusammen mit der Eigentums-, Handels- und Gewerbefreiheit das Fundament unserer Schweiz und leiten uns noch heute. Sie haben uns durch Krisen geführt und uns gestärkt. Die Unabhängigkeit hat uns die Grundlage für unsere heutige politische Struktur, unseren Föderalismus und Neutralität geschaffen. Unsere Neutralität hat uns ermöglicht, ein sicherer Hafen in einer turbulenten Welt zu sein. Die direkte Demokratie gibt uns die Macht, unsere Zukunft selbst zu gestalten und der Föderalismus stellt sicher, dass die Vielfalt unserer Regionen und Kulturen respektiert wird. Eigentumsfreiheit sowie die Handels- und Gewerbefreiheit ermöglichen uns auf der einen Seite wirtschaftliche Entwicklung sowie gesellschaftlichen Wohlstand und politische sowie soziale Stabilität auf der anderen Seite.
Freiheit bedeutet nicht nur die Freiheit des Einzelnen, sondern auch die Verantwortung für das Gemeinwohl (kommt das heute nicht immer mehr abhanden? Alle wollen in einen Verein eintreten, niemand aber ein Mandat übernehmen). Und so heisst es in Artikel 6 unserer Bundesverfassung: «Jede Person nimmt Verantwortung für sich selbst wahr und trägt nach ihren Kräften zur Bewältigung der Aufgaben in Staat und Gesellschaft bei». Dieses Prinzip fördert das gemeinschaftliche Handeln und die kollektive Verantwortung, was zur politischen Stabilität, zum sozialen Zusammenhalt und zum wirtschaftlichen Wohlstand der Schweiz beiträgt. Der Gemeinsinn ist somit die Grundlage für eine funktionierende Gesellschaft. Er fördert das Bewusstsein, dass jeder Einzelne Teil eines grösseren Ganzen ist und dass gemeinschaftliches Handeln notwendig ist, um Herausforderungen zu bewältigen. In der Schweiz, mit unserer Tradition der direkten Demokratie und dem Föderalismus, ist Gemeinsinn besonders wichtig, um gesellschaftliche und politische Prozesse effektiv und inklusiv zu gestalten.
Für eben diese Werte werden wir weltweit beneidet. Für uns Schweizerinnen und Schweizer zwar eine Selbstverständlichkeit, im internationalen Vergleich aber noch immer ein Sonderfall.
Während den Anfangsjahren der Schweiz wurde der Gemeinsinn beispielsweise durch unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungen zwischen den Kantonen, religiöse Spaltungen, militärische Bedrohungen, die eigenen politischen Interessen von Kantonen und Gemeinden oder die Kommunikations- und Transportinfrastruktur stark herausgefordert. So war insbesondere der Bau von Strassen und später die Eisenbahn entscheidend, um die Regionen miteinander zu verbinden, die Kommunikationswege zu «vereinfachen» und dadurch den Gemeinsinn zu stärken.
Heutzutage verändert sich die Welt um uns herum immer schneller. Wir stehen vor neuen, teilweise aber auch ähnlichen Herausforderungen wie damals. Kriege und gewaltsame Konflikte sind ebenso Herausforderungen, von denen man sich überwältigt fühlen kann, wie beispielsweise der gesellschaftliche Wandel, geopolitische Spannungen, Migration oder die zunehmende Polarisierung, der Populismus und die Digitalisierung. So ist beispielsweise eine moderne Gesellschaft zunehmend individualistisch geprägt. Dies kann den Gemeinsinn schwächen, da persönliche Interessen oft über das Gemeinwohl gestellt werden. Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass seit der COVID-Pandemie die durchschnittlich geleistete Anzahl Stunden Freiwilligenarbeit in der Schweiz zurückgegangen ist. Ähnlich wie anno dazumal stellt die Kommunikation auch heute wieder eine Herausforderung dar: Die Digitalisierung verändert die Art und Weise, wie Menschen kommunizieren und interagieren. Soziale Medien können sowohl positive als auch negative Effekte auf den Gemeinsinn haben, da sie einerseits Gemeinschaften schaffen und räumliche Distanzen überwinden, andererseits aber auch Polarisierung und Desinformation fördern können. Quantität steht mittlerweile über Qualität, Clickbaits (also Klickköder) vor Inhalt und Geschwindigkeit vor Vollständigkeit. Gerade in Zeiten, in denen Lügen und Halbwahrheiten auf allen Ebenen der Gesellschaft salonfähig geworden sind, die politische Polarisierung zunimmt und Algorithmen sowie Filter die Selektion von Inhalten übernehmen (diesbezüglich bietet KI nebst Chancen auch Risiken), wird nicht nur kritisches Denken immer wichtiger, sondern auch die Erinnerung an das, was uns als Schweiz stark macht: unser Wille, zusammenzustehen, gemeinsam Lösungen zu finden und unabhängig in Freiheit zu leben.
Die Gemeinde Uzwil gäbe es heute wohl nicht in dieser Form, in dieser Grösse mit dieser Wirtschaftsleistung, wenn der visionäre Industrielle Matthias Naef damals nicht den starken Willen gehabt hätte, durch sein politisches Engagement eine Bahnlinie trotz topografisch schwieriger Situation durch Uzwil zu führen, welches zu dieser Zeit noch nicht wirklich existierte. Auch die Schweiz gäbe es wohl in der heutigen Form nicht, wenn da nicht der ungebändigte Wille nach Freiheit, Demokratie, Unabhängigkeit, Neutralität, Frieden und Föderalismus gewesen wäre. In einer Zeit, in der viele Länder mit politischer Spaltung zu kämpfen haben und Anti-Demokraten von unterschiedlichstem politischem Lager wieder populär werden, ermöglicht uns unser System, dass jede oder jeder Einzelne von uns eine Stimme hat und gehört wird. Dieses Privileg dürfen wir nicht als selbstverständlich ansehen. Es fordert uns auf, aktiv teilzunehmen, informiert zu bleiben, verantwortungsbewusst zu handeln, Verantwortung zu übernehmen und zusammenzustehen. Es ist wichtig, dass wir unsere Werte und damit den Gemeinsinn hochhalten und in die Zukunft tragen. Die Stärke unserer Schweiz liegt in unserem Willen. In Zeiten der Unsicherheit und Veränderung ist es nicht die von Neid getriebene Klassenkampfrethorik, die uns Halt und Orientierung gibt, sondern der Wille nach Freiheit, Solidarität und Demokratie. Heute, während wir gemeinsam feiern, denken wir nicht nur an diejenigen, die unsere Schweiz zu dem gemacht haben, was sie heute ist, sondern auch an jene, welche durch Armut, Krankheit oder andere Schicksalsschläge herausgefordert sind. Lassen Sie uns einander unterstützen, wo immer wir können.
Liebe Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde Uzwil, lasst‘ uns diesen Tag nutzen, um stolz auf unsere Vergangenheit zu sein und mit Zuversicht in die Zukunft zu blicken. Die Schweiz ist stark, weil wir stark sind und einen starken Willen haben. Unsere Geschichte lehrt uns, dass wir gemeinsam alles erreichen können. Lasst uns also gemeinsamen daran arbeiten, die Schweiz, die Gemeinde Uzwil, unser Zuhause, zu einem Ort zu machen, der auch für kommende Generationen lebenswert ist. Lassen Sie uns unsere Werte hochhalten und in die Zukunft tragen. Ich appelliere an Sie alle: Seien Sie aktiv, beteiligen Sie sich an unserer Demokratie, gehen Sie Wählen und Abstimmen und übernehmen Sie Verantwortung in Ihren Gesellschaften. Engagieren Sie sich für die Themen, die Ihnen am Herzen liegen und arbeiten Sie zusammen, um Lösungen zu finden. Ich bin mir sicher, ProHenau und andere Uzwiler Vereine würden sich über ein paar zusätzliche unterstützende Hände freuen!
Vielen Dank und no än wunderbare 1. August!
Henau, 01. August 204
Yves Beutler
Präsident FDP.Die Liberalen Uzwil